Kein Thema war im letzten Jahr präsenter als COVID-19 und noch immer hat die Pandemie die ganze Welt fest im Griff. Ein anderer bedeutender Sachverhalt, auf den Wissenschaftler und Aktivisten schon seit Jahren mit Nachdruck hinweisen, hat dadurch aber nicht an Relevanz verloren. Mit der Zunahme an Umweltschutzvorschriften und entsprechenden Auflagen durch die Politik, ist für die Autohersteller eine verstärkte Ausrichtung hin zu grüner Mobilität mittlerweile unerlässlich. Wegbereiter dieses Wandels sind die Elektroautos, die – aller Voraussicht nach – den klassischen Verbrennungsmotoren über kurz oder lang den Rang ablaufen werden. Damit diese Umstellung von Erfolg gekrönt ist, müssen die E-Modelle ihre Vorreiterrolle im Hinblick auf Umweltverträglichkeit aber erst einmal unter Beweis stellen. Sind Stromer tatsächlich so umweltfreundlich, wie es den Anschein hat? Autovista Group Daily Brief Journalist Tom Geggus hat versucht, diese Frage zu beantworten.
Laut EU-Kommission zeichnen PKWs für rund 12% des gesamten CO2-Emissionsaufkommens in der EU verantwortlich – was die Automobilindustrie unfreiwillig in den grünen Blickpunkt rückt. Das Ergebnis einer kürzlich durchgeführten Umfrage in 15 europäischen Städten hat gezeigt, dass sich knapp zwei Drittel der dort lebenden Personen für die Einführung eines Verkaufsverbots für neue Benzin- und Dieselfahrzeuge bis zum Jahr 2030 aussprechen. Auch Fahrzeughersteller und Mobilitätsanbieter befürworten einen schnelleren Übergang hin zu emissionsfreien Beförderungsmöglichkeiten. Eine Reihe von Unternehmen, darunter Volvo Cars, Uber und Lease Plan, fordert eine Einstellung des Handels mit neuen Verbrennern bis spätestens 2035. Die Folge wäre ein Mangel in diesem Fahrzeugsegment, der durch Elektrofahrzeuge abgedeckt werden müsste.
Wenn man nun aber einmal den gesamten Lebenszyklus eines Stromers betrachtet: Ist E-Mobilität tatsächlich so viel umweltfreundlicher als Benzin oder Diesel?
Ein deutlich kleinerer Fußabdruck
Eine im letzten Jahr veröffentliche Forschungsarbeit der Universitäten von Cambridge, Exeter und Nijmegen hat gezeigt, dass in 95% der Welt ein elektrisch angetriebenes Auto eine deutlich geringere CO2-Bilanz aufweist als eines, das mit fossilen Treibstoffen läuft. Dr. Florian Knobloch, Fellow der University of Cambridge, Leitautor der Abhandlung und darüber hinaus in beratender Funktion auf Bundesebene tätig, hat mit dem Team des Autovista Group Daily Brief über seine Ergebnisse gesprochen.
Das wissenschaftliche Team um Dr. Knobloch hat umfassende Untersuchungen zum Emissionsausstoß eines Fahrzeugs während seines gesamten Lebenszyklus‘ vorgenommen, sowohl in der Nutzungsphase als auch in Bezug auf Produktion und Abfallverwertung. „Während des Produktionsprozesses [des Elektroautos] ist der Verbrauch an Energie und Material auf Grund der Batterie erheblich größer“, so die Erkenntnis von Knobloch. Diese höhere Belastung gleicht das Fahrzeug in seiner aktiven Nutzungsphase dann jedoch durch einen deutlich geringeren CO2-Ausstoß wieder aus.
„Die Aussage, dass E-Autos höhere Emissionen verursachen, ist nicht korrekt – selbst dann, wenn man den gesamten Lebenszyklus des Automobils mit einbezieht“, so Knobloch weiter. „In den meisten Teilen der Welt verringern Elektroautos bereits jetzt den CO2-Fußabdruck, auch unter Einbeziehung sämtlicher Faktoren, von der Produktion bis zu Wiederverwertung.“
“Ein Schneeballeffekt”
Bei einer Einteilung der Welt in 59 Regionen, so ein Ergebnis der Studie, sind in 53 davon E-Autos bereits jetzt emissionsärmer unterwegs als Benzin- oder Dieselfahrzeuge, so unter anderem in Europa, den USA und China. Die Forschungsarbeit zeigte weiterhin, dass in Ländern wie Frankreich oder Schweden, wo ein Großteil des Stroms durch erneuerbare Energien oder nukleare Quellen gewonnen wird, der Emissionsausstoß bezogen auf den gesamten Lebenszyklus des Elektrofahrzeugs sogar rund 70% niedriger liegt als bei Benzinern. In Ländern wie beispielsweise Polen, in denen sich bislang ein Großteil der Stromerzeugung auf Kohlekraftwerke konzentriert, stellt sich die Situation derzeit noch anders dar.
Mit dem geplanten Ausstieg aus dem Kohleabbau und der daraus resultierenden Reform der Stromnetze wird aber wohl auch in diesen Regionen der Wandel in Richtung „saubere“ Energie einen Schub erhalten. Wenn also E-Mobilität zunehmend an Effizienz gewinnt, wird sie den Verbrennungsantrieb, der wiederum seinen Spitzenwirkungsgrad annähernd erreicht hat, schlussendlich überflügeln. Dr. Knobloch führt weiterhin an, dass auch die Einbindung fortschrittlicher Technologien wie Biotreibstoffe vermutlich eher nicht dazu führen werde, den CO2-Fußabdruck von Verbrennern maßgeblich zu verkleinern.
Die Umstellung auf E-Mobilität braucht Zeit und das Zutrauen in die neue Technologie muss wachsen, bis schließlich die breite Masse erreicht wird. „Jedes Elektroauto, das derzeit bereits auf dem Markt ist, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Verkaufszahlen in diesem Segment auch zukünftig steigen“, erläutert Dr. Knobloch. Mit dem zunehmenden Angebot an Stromern, wächst die Akzeptanz und damit auch das Vertrauen in die Technik – ein Schneeballeffekt, der dazu führt, dass sich immer mehr Menschen für diese Form der Mobilität entscheiden. Die Studie prognostiziert, dass bis zum Jahr 2050 rund die Hälfte aller Autos weltweit elektrisch fahren wird. Die Folge wäre eine Verminderung der globalen CO2-Emissionen von bis zu 1,5 Gigatonnen pro Jahr.
Antriebsarten im Vergleich
Die in Europa ansässige Initiative Transport and Environment (T&E), deren Mitglieder sich unter anderem für die Entwicklung klimaneutraler Mobilitätssysteme einsetzen, legt Werte vor, die zeigen, dass der CO2-Ausstoß von Elektroautos im Durchschnitt knapp dreimal niedriger ist als der ihrer „Kollegen“ mit Verbrennungsmotoren. In diesen Zahlen sind Faktoren wie die Rohstoffbeschaffung für die Batterie, Stromerzeugung und sogar die Errichtung von Kraftwerken bereits berücksichtigt. Um den Emissionsunterschied zwischen den Elektro- und Verbrennungsmotoren während des Lebenszyklus‘ eines Fahrzeugs besser darstellen zu können, hat T&E ein Tool zum Vergleich von Antriebsarten entwickelt. Hier werden beispielsweise Produktionsjahr, Fahrzeuggattung und Herstellungsort sowie der Energieverbrauch, der für die Fertigung der Batterie benötigt wird, gegenübergestellt.
Im Gespräch mit Autovista Group Daily Brief erklärte T&E Manager Lucien Mathieu, verantwortlich für die Bereiche Straßenfahrzeuge und E-Mobilitätsanalyse und Urheber des Analysewerkzeugs, dass das Tool dabei helfen soll, bestehende Vorurteile gegenüber der Emissionsproduktion von Elektroautos auszuräumen. Häufig, so die Aussage Mathieus, liegen diesen Analysen veraltete Daten zugrunde, besonders im Hinblick auf die schnell voranschreitende Entwicklung bei elektrisch angetriebenen Fahrzeugen. Basierend auf aktuellen Informationen ermittelt das Tool von T&E den CO2-Ausstoß pro Kilometer bzw. pro Tonne über den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs.
Vergleicht man beispielsweise zwei im Jahr 2020 gekaufte Mittelklassewagen miteinander, kommt man auf einen Emissionswert von 90 Gramm CO2 pro Kilometer für das Elektroauto, gegenüber 253 Gramm beim Benziner. Zieht man also die Tonnen von Kohlendioxid in Betracht, die ein PKW über Jahre und weite Strecke hinweg produziert, dann ist die „CO2-Verschuldung“, die bei der Produktion des E-Fahrzeugs entstanden ist, aufgrund der niedrigen Verbrauchswerte relativ schnell wieder ausgeglichen. Der Unterschied zum Verbrennungsmotor, der in der Energieumsetzung weit weniger effizient arbeitet, ist immens.
Diese Ungleichheit wird sich durch die stetige Verbesserung der Batterietechnik noch vergrößern, während im Vergleich dazu die mit fossilen Brennstoffen angetriebenen Fahrzeuge ihren Spitzenwirkungsgrad nahezu erreicht haben. Eine Studie von T&E kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass eine E-Auto-Batterie unter Einbeziehung der Recyclingmöglichkeiten rund 30 Kilogramm Rohstoffe verbraucht. Im Vergleich dazu steht ein durchschnittlicher Treibstoffbedarf von 17.000 Litern bei einem regulären Verbrenner.
“Die wertvollen Minerale, die für die Produktion der Batterien abgebaut werden, können, im Gegensatz zu Mineralöl, wiederverwertet werden“, so die Aussage von Greg Archer, UK Direktor von T&E. Archer weiter: „Im Laufe seines Lebenszyklus‘ verbraucht ein klassischer Verbrennungsmotor im Durchschnitt eine Ölmenge, die, in Fässern aufeinandergestapelt, einer Höhe von 25 Stockwerken entspricht. Dabei produziert er rund 40 Tonnen CO2, was einen erheblichen Beitrag zur globalen Erwärmung darstellt. Im Vergleich dazu verliert man beim Recycling-Vorgang einer elektrischen Autobatterie nur rund 30 Kilogramm an metallischen Materialien –ungefähr die Größe eines Footballs.“
Diese Diskrepanz wird in den nächsten zehn Jahren noch zunehmen, wenn es durch die Weiterentwicklung der Prozesse gelingt, die Lithiummenge, die für die Batterieproduktion benötigt wird, zu halbieren. Darüber hinaus wird die erforderliche Menge an Kobalt voraussichtlich auf ein Viertel des jetzigen Verbrauchs sinken, der Bedarf an Nickel vermindert sich wohl immerhin um rund ein Fünftel. Außerdem profitieren Stromer auch von technologischen Entwicklungen außerhalb ihres eigenen Segments.
Um den Fortschritten im Bereich E-Mobilität Rechnung zu tragen, plant T&E die regelmäßige Aktualisierung der für das Tool verwendeten Daten. Darüber hinaus sollen auch Plug-in Hybride (PHEVs) in die Bewertung aufgenommen werden, um so das Anwendungsgebiet zu erweitern.
Autos unter Strom
Mehr als 3.500 Energieunternehmen, die Eurelectric angehören, einem Branchenverband der europäischen Elektrizitätswirtschaft, haben sich Ende letzten Jahres für eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um mindestens 55% bis 2030 ausgesprochen. Bei einer steigenden Anzahl an Energieversorgern und -erzeugern, die grünere Lösungen befürworten – dazu zählt auch der vermehrte Einsatz von erneuerbaren Energien – ist die logische Folge, dass auch Elektronautos klimaneutraler werden.
Petar Georgiev, Leiter des Bereichs Klima- und E-Mobilität bei Eurelectric, hat im Gespräch mit Autovista Group‘s Daily Brief darauf hingewiesen, dass es gerade in Bezug auf E-Mobilität von erheblicher Bedeutung sei, die übergeordneten Zusammenhänge im Blick zu behalten. „Sie müssen auch die Entwicklung der CO2-Fußabdrücke in den verschiedenen Ländern und während unterschiedlicher Zeiträume betrachten – vor allen Dingen, wie diese sich verändern. Wir im Energiebereich sehen eine deutliche Tendenz hin zu einer zunehmend grüneren Stromversorgung“, so die Aussage von Georgiev. „Wenn wir aber warten, bis wir ein vollständig auf erneuerbarer Energie basierendes Stromnetz etabliert haben und erst dann in die Nutzung einsteigen, wird sich das vermutlich als großer Fehler erweisen.“
Eurelectric hat kürzlich die Elektrifizierung der Fahrzeugflotten in Europa als einen entscheidenden Faktor für umweltverträgliche Mobilität in den kommenden zehn Jahren genannt. Die Gesamtgröße der Fahrzeugflotten in Europa liegt bei rund 63 Millionen Autos, Transportern, Bussen und LKWs, die entweder von Privatunternehmen oder von staatlichen Behörden betrieben werden. Laut einer Erklärung des Verbandes sind diese Fahrzeuge, obwohl sie nur rund 20% des Gesamtvolumens ausmachen, für 40% aller gefahrenen Kilometer verantwortlich und darüber hinaus für 50% der CO2-Emissionen im Bereich Transport. „Die Elektrifizierung der Fahrzeugflotten kann die Wende bringen“, sagt Kristian Ruby, Generalsekretär bei Eurelectric. „Neben einem deutlich verringerten Kohlendioxidausstoß sorgt sie gleichzeitig für eine Reduzierung der Total Cost of Ownership. Also eine Win-win-Situation für alle – für die Flottenmanager und auch für die Gesellschaft als Ganzes.“
Die Elektrifizierung von Fahrzeugen verfügt – abhängig von ihrem Einsatz – über ein enormes Potential, den CO2-Fußabdruck maßgeblich zu verringern. Wenn wir nun also auf unsere Eingangsfrage zurückkommen: „Sind Stromer tatsächlich so umweltfreundlich, wie es den Anschein hat?“, dann lautet die Antwort „Ja“ – aber der Erfolg hängt maßgeblich davon ab, wie schnell sich die Technologie in den kommenden Jahren in der Breite durchsetzt.
Quelle:
Autovista Group News & Insights: Daily Brief – Are EVs as green as they seem?